Rechtsanwaltskanzlei

Die Tücken von Widerrufen und Rücktritten in Bausachen

43,4 Millionen Wohnungen in Deutschland

Damit gab es zum Ende des Jahres 2022 ca. 282 800 Wohnungen mehr als noch 2021. Auch wenn das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, nicht erreicht werden konnte, wuchs die Zahl der Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren immerhin stärker als die Bevölkerung. Seit 2012 erhöhte sich der Wohnungsbestand um 6,3 %, die Wohnfläche in Deutschland vergrößerte sich um 7,4%. Die Bevölkerung nahm hingegen nur um 4,8 % zu und stieg damit auf 84,4 Millionen Menschen an.
Im Durchschnitt ist eine Wohnung 92,2 m² groß und wird von 1,9 Personen bewohnt, denn inzwischen sind etwa 75 % der Haushalte Ein- oder Zweipersonenhaushalte. Der größte Teil der Wohnungen, nämlich ca. ein Viertel, besteht dabei aus vier Räumen, dicht gefolgt von Drei-Raum-Wohnungen, die etwa 22 % ausmachen.
Etwas mehr als die Hälfte der Wohnungen befindet sich in Mehrfamilienhäusern. Damit bestehen die insgesamt 3,3 Millionen Mehrfamilienhäuser durchschnittlich aus 6,7 Wohneinheiten. Einfamilienhäuser machen mit einer Anzahl von 13 Millionen knapp ein Drittel der Wohnungen aus, Zweifamilienhäuser hingegen lediglich 15,2 %. Etwa 1,3 % der Wohnungen befinden sich in Wohnheimen.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023

Entscheidungen im Überblick

Wer kleiner als vereinbart baut, der bekommt auch weniger Geld

Dies hat das OLG Brandenburg entschieden. Doch wieso muss ein Gericht über eine solch augenscheinliche Selbstverständlichkeit ein Urteil fällen?
Hintergrund der Entscheidung war, dass ein Bauträger und ein Erwerber einen Bauträgervertrag über eine Wohnung mit einer voraussichtlichen Größe von 277,50 m² schlossen. Die Bauaufsichtsbehörde erteilte aufgrund von Umplanungen eine Nachtragsgenehmigung mit der Bedingung, dass die ausreichende Belichtung von zwei Räumen nachzuweisen ist. Der Bauträger stellte sodann die erste Rate der Abschlagsrechnung in Höhe von 705.300,00 EUR. Da die von der Behörde aufgestellte Bedingung noch nicht erfüllt und eine weitere, nach der Wohnflächenverordnung zu berücksichtigende Fläche noch nicht als genehmigt ausgewiesen sei, behielt sich der Erwerber neben dem Sicherheitseinbehalt einen Betrag in Höhe von 162.120,00 EUR ein. Infolgedessen erklärte der Bauträger den Rücktritt wegen Zahlungsverzugs. Daraufhin erhob der Erwerber Klage auf Feststellung, dass der Vertrag durch den Rücktritt nicht beendet worden sei. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen mit der Begründung, dass ein Zurückbehaltungsrecht ausscheide, da dem Erwerber vor Abnahme die Geltendmachung von Gegenrechten nur insoweit zustünde, als dass sie sich auf den jeweiligen Stand des Baus bezögen. Ganz so selbstverständlich, wie der erste Blick vermuten lassen möge, war das Urteil des OLG also nun doch nicht!

Die gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegte Berufung des Erwerbers hatte jedoch Erfolg. Trotz Fälligkeit und Baugenehmigung, der die Bedingung des Belichtungsnachweises nicht entgegensteht, steht dem Erwerber ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB zu. Danach können Mängel derjenigen Bauleistungen gegenüber Abschlagsforderungen entgegengehalten werden, die der Unternehmer bis zur Erreichung des Bautenstands, der seine Abschlagsforderung begründet, ausgeführt hat. Da die Arbeiten zur Herstellung der Planung und Herbeiführung der Genehmigung allen Bauleistungen als Vorarbeiten zugrunde liegen, berechtigt ihre nicht vollumfängliche Erfüllung zur Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts auch in Bezug auf die erste Rate der Abschlagsrechnung. Zum Zeitpunkt des Rücktritts war lediglich die Herstellung der vereinbarten Wohnfläche aufgrund der vorliegenden Planung gesichert. Maßstab ist jedoch nicht, ob der Bauträger die ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllen kann, sondern ob er diese im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits bewirkt hat. Dies war vorliegend nicht der Fall. Es ist sachgerecht, den zur Zahlung fälligen Abschlag in einem Umfang zuzüglich eines Druckzuschlags zu kürzen, in dem die planerisch gesicherte Fläche hinter der vereinbarten Fläche zurückbleibt, da sich die Höhe nur schwerlich nach den voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten bemessen lassen kann. Nimmt der Bauträger also Umplanungen vor und führt das dazu, dass die Herstellung der vertraglich geschuldeten Wohnfläche nur in einem geringeren Umfang gesichert ist, ist der Erwerber in dem der Flächenabweichung entsprechenden Umfang berechtigt, seine Verpflichtung zur Zahlung einer fälligen Abschlagsrechnung nicht (vollständig) zu erfüllen.
(OLG Brandenburg, Urteil vom 05.07.2023, 4 U 105/22)

Ein Parkplatz für E-Autos kann rücksichtslos sein, es liegt jedoch nicht an einer Besonderheit der E-Autos

Im anschaulichen Prenzlauer Berg wollte eine Grundstückseigentümerin in einer Remise in ihrem Hinterhof, die einst eine Autowerkstatt beherbergte, fünf Parkplätze und zwei Elektroanschlüsse für E-Autos bauen. Sie war dabei der Auffassung, dass dies aufgrund der geringen Beeinträchtigungen, die von E-Autos ausgehen, keine Probleme bereiten sollte. Da in der Vergangenheit eine Autowerkstatt betrieben wurde, sei die Umgebung sowieso bereits abgehärtet, was Geräusch- und Lärmpegel beträfe und andere Geräusche wie Türen- oder Kofferraumschlagen seien bei modernen Autos vernachlässigbar.

Diese Auffassung teilte das VG Berlin jedoch nicht. Es sieht in der geplanten Errichtung einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Mangels Bebauungsplan für das Vorhaben kann keine Zuordnung zu einem ausgewiesenen Baugebiet erfolgen. Daher muss das Vorhaben an seiner konkrete Umgebung gemessen werden. Unter Berücksichtigung der gesamten Situation und nach umfassender Abwägung aller schutzwürdigen Belange der beteiligten Grundstücke kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass zwar von den Elektroautos keine störenden Fahrgeräusche oder Warnsignale ausgehen, einem gerichtlich eingeholten Gutachten zufolge die Geräusche des Türen- und Kofferraumschlagens die zulässigen nächtlichen Grenzwerte für Geräuschimmissionen jedoch überschreiten werden.
(VG Berlin, Urteil vom 31.03.2022, VG 13 K 184/19)

Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht befreit den Verbraucher von jeder Zahlungspflicht

Ein Unternehmer hatte mit einem Verbraucher einen Vertrag zur Erneuerung der Elektroinstallation in einem Haus geschlossen. Der Unternehmer erbrachte die geschuldeten Leistungen und schloss seine Arbeiten ab. Der Verbraucher hat jedoch den Vertrag widerrufen und eine Bezahlung abgelehnt.
Der EuGH urteilt: zu Recht! Doch aus welchen Gründen soll der Unternehmer, der ordnungsgemäß geleistet hat, keine Zahlung erhalten? Kurz: aus Gründen des Verbraucherschutzes.

In Deutschland ist die Rechtslage wie folgt: Einem Verbraucher steht ein Widerrufsrecht gemäß § 312 g BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen zu. Widerruft er einen auf diese Weise geschlossenen Vertrag, sind weder er noch der Unternehmer an den Vertrag gebunden. Das Widerrufsrecht besteht 14 Tage ab Vertragsschluss. Diese Widerrufsfrist beginnt gemäß § 356 Abs. 3 BGB jedoch nicht zu laufen, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt. Ohne Belehrung kann der Verbraucher den Vertrag bis zu 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen. Im Falle des Widerrufs sieht das Gesetz die Rechtsfolge vor, dass „die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren“ sind. Nun kann zwar der Unternehmer seine Vergütung, der Verbraucher aber nicht die in einem Gebäude verbaute Handwerkerleistung nicht zurückgeben. Grundsätzlich hätte der Unternehmer in diesem Fall zumindest einen Anspruch auf Wertersatz aus ungerechtfertigter Bereicherung. Der EuGH hat diesen Anspruch auf Wertersatz jedoch abgelehnt. Sinn und Zweck der Verbraucherschutzrichtlinie (RL 2011/83) sei, dass der Verbraucher bei einem Widerruf tatsächlich nichts bezahlen muss, wenn der Unternehmer nicht ordnungsgemäß nach Art. 14 Abs. 4 ai) RL 2011/83 belehrt hat. Um einen umfassenden und effektiven Verbraucherschutz zu erreichen, wird der Verbraucher von sämtlichen Zahlungspflichten, also auch von der Pflicht auf Wertersatz, frei.
(EuGH, Urteil vom 17.05.2023, C-97/22)

Der Verbraucher kann mündlich geschlossene Nachtragsvereinbarungen widerrufen

Ein Unternehmer erhielt von einem Verbraucher drei Aufträge über Bauleistungen. Die entsprechenden Verträge wurden mündlich auf der Baustelle geschlossen. Aufgrund der Vergütung, die sich im Rahmen von 700 bis 7.000 EUR bewegte, handelte es sich nicht um Verbraucherbauverträge. Der Unternehmer belehrte seinen Vertragspartner nicht auf dessen Widerrufsrecht. Im Folgenden erbrachte der Unternehmer Leistungen, der Verbraucher leistete seinerseits Abschlagszahlungen. Nach einem heftigen Streit erklärt der Verbraucher den Widerruf der drei Verträge und fordert die von ihm erbrachten Abschlagszahlungen zurück. Der Unternehmer hingegen begehrt die offene Restvergütung. Das Landgericht gibt der Klage des Verbrauchers statt und weist die Widerklage ab, da der Verbraucher die Verträge wirksam gemäß § 312 b Abs. 1 S.1 Nr. 1, § 312 g Abs. 1 BGB widerrufen habe. Hiergegen legt der Unternehmer Berufung ein.

Ohne Erfolg!
Die Bauverträge wurden mündlich auf der Baustelle geschlossen. Somit handelt es sich um Außer-Geschäftsraum-Verträge gemäß § 312 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB. In diesen Fällen haben Verbraucher ein Widerrufsrecht gemäß § 312 g Abs. 1 BGB, worüber ihn der Unternehmer zu belehren hat. Diese Belehrung ist vorliegend nicht erfolgt, sodass sich die Frist um ein Jahr verlängert und der Widerruf auch nach Ablauf von 14 Tagen noch möglich war. In Übereinstimmung mit dem Urteil des EuGH beschloss das in dieser Sache zuständige OLG Karlsruhe, dass die Ausübung des Widerrufsrechts und die unterbliebene Belehrung nun dazu führen, dass der Unternehmer für seine Leistungen weder Vergütung noch Wertersatz beanspruchen kann. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass zwei der streitgegenständlichen Verträge Nachtragsvereinbarungen zu einem bereits bestehenden (Haupt-)Vertrag waren, der nicht außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen und damit nicht den speziellen Regelungen hierzu unterfällt. Nachtragsvereinbarungen über zusätzliche Leistungen des Unternehmers sind – anders als einseitige Änderungsanordnungen des Bestellers gemäß § 650 b Abs. 2 BGB – rechtlich selbstständige Werkverträge, weil sie durch Angebot und Annahme zustande kommen. Aus diesem Grund können sie selbstständig widerrufen werden, denn auch wenn sie die nach dem Hauptvertrag geschuldeten Leistungen nur ergänzen oder lediglich solche zusätzlichen Leistungen zum Gegenstand haben, die zur Herstellung eines funktionstauglichen Werks erforderlich sind, bleiben Nachtragsvereinbarungen selbstständige Werkverträge.
Werden die Nachtragsvereinbarungen auf der Baustelle und damit außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen, besteht auch bei solchen Zusatzvereinbarungen jedenfalls die abstrakte Möglichkeit, dass der Verbraucher aufgrund der ungewöhnlichen Situation und des damit verbundenen Überraschungsmoments unter jenem gesteigerten Druck stand, vor dem ihn die Regelungen zu Außer-Geschäftsraum-Verträgen schützen soll. Auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit aufgrund einer tatsächlichen Überrumpelung und ihrer Kausalität für den Vertragsschluss im konkreten Fall kommt es nicht an, denn nach dem Wortlaut des § 312 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB ist allein entscheidend, dass der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen erfolgt ist.
Folglich geht der Unternehmer aus Gründen des Verbraucherschutzes auch bei Nachtragsvereinbarungen zu einem bereits beauftragten „regulären“ Bauvertrag leer aus, wenn die Nachtragsvereinbarungen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden und er den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt hat.
(OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2023, 8 U 17/23)

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