Chemieindustrie unter Druck
Die Chemieindustrie ist dem Umsatz nach diedrittgrößte deutsche Industriebrancheund steht am Anfang der industriellen Wertschöpfungskette. Sie ist in hohem Maße importabhängig – Erdgas kam 2020 zu55 %aus Russland (2019 noch 51%). Der Anteil des Energieverbrauchs der Chemieindustrie am Energieverbrauch Deutschlands in 2020:
15,4 %Erdgas
10,5 %Strom
8,9 %Insgesamt.
Energieträger wie Gas und Mineralöl werden in der Chemie jedoch nicht nur zur Energiegewinnung eingesetzt. Bei den Mineralölprodukten ist der energetische Verbrauch vernachlässigbar. Über 90 Prozent der eingesetzten Mineralölprodukte entfallen auf den stofflichen Einsatz. Aber auch Erdgas wird zu 30 Prozent in der Produktion als Rohstoff eingesetzt, etwa zur Herstellung von Ammoniak und Acetylen. Acetylen steckt in vielen Produkten des täglichen Bedarfs: in Kunststoffen, Arzneimitteln, Lösemitteln, Elektrochemikalien oder auch hochelastischen Textilfasern. Ammoniak wird dagegen zum Beispiel zur Herstellung von Dünger verwendet.
Quelle: vci.de
Drohende Versorgungsengpässe beim Gas alarmieren momentan die Wirtschaft – vor allem die Chemieindustrie. Ein Stopp der Lieferungen aus Russland hätte für die mehr als 2000 Unternehmen in der Chemieindustrie enorme wirtschaftliche Folgen. In den vergangenen Wochen zog bereits der Verband der Chemischen Industrie (VCI) seine Prognose für das laufende Jahr zurück. Zuletzt hatte der VCI ein Rekordjahr mit mehr Umsatz (plus 5 Prozent) und Produktion (plus 2 Prozent) erwartet. Das Beispiel der BASF – dem größten Chemiekonzern weltweit – zeigt, dass Chemie bzw. chemische Produkte in nahezu jedem Lebensbereich gegenwärtig ist. Erdgas ist unter anderem Ausgangsstoff für Kunststoffe, Arzneimittel, Lösemittel, Elektrochemikalien sowie hochelastische Textilfasern, die wiederum Vorprodukte für die Automobil-, Pharma-, Bau-, Konsumgüter- und Textilindustrie sind.
Nicht zu vergessen sind Düngemittel für die Landwirtschaft. Sollte Russland in einem nicht unwahrscheinlichen Szenario den Export von Düngemitteln stoppen und dabei noch gleichzeitig ein Gasmangel eintreten, könnte die einheimische Landwirtschaft in große Schwierigkeiten geraten.
Die Bundesregierung versucht, die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischem Gas zu verringern. Dabei setzt sie unter anderem auf mehr Lieferungen aus den Niederlanden und Norwegen sowie auf verflüssigtes Erdgas (LNG). Auch der Bau einer LNG-Pipline wird geprüft.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat bislang ein Gasembargo gegen Russland abgelehnt und dies mit den drohenden Folgen für die Wirtschaft begründet.
Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs hat das BMWSB einen Erlass veröffentlicht (25.03.2022), mit dem das Thema Lieferengpässe und Stoffpreisänderungen für den gesamten Bundesbau einheitlich geregelt werden soll. Der Erlass ermöglicht in der gegenwärtigen Krisensituation die Anwendung einer sog. „Stoffpreisgleitklausel“. Damit sollen Preissprünge während eines Bauprojekts aufgefangen werden. Die Klausel gilt für folgende Produktgruppen: Stahl nebst Stahlprodukten, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen Asphaltmischgut), Epoxidharze, Zementprodukte, Holz und gusseiserne Rohre.
Anders als bisher beträgt der Mindestabstand zwischen Angebotsabgabe und Einbau als Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Stoffpreisgleitklausel nur noch einen statt sechs Monate. Dadurch werden auch kurzlaufende Bauverträge von der Klausel umfasst. Zudem wird auch eine nachträgliche Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel ermöglicht, sofern höchstens die Hälfte der Leistungen aus den vorgenannten Produktgruppen ausgeführt wurde. Die Preisgleitung kommt dabei nur für noch nicht erbrachte Leistungsteile in Betracht.
Länder und Kommunen sind nun aufgefordert, den Erlass in gleicher Weise zu übernehmen. Doch Achtung: Der Erlass ist zunächst bis zum 30.06.2022 befristet.
OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2021 – Verg 1/21
Eine Stadt schreibt national im Wege einer beschränkten Ausschreibung die Verwertung von Altpapier, PPK- und Verkaufsverpackungen aus der städtischen Altpapiersammlung über eine Laufzeit von drei Jahren aus. Die Stadt berechnete einen Auftragswert in Höhe von 21.000 EUR, bei dem der Reinerlös der Stadt abzüglich der Handlingkosten des Auftragnehmers mit dem Wert der Vorjahre 1 EUR pro Tonne ergebe und legte dies schriftlich nieder. Bei einer jährlichen Sammelmenge von 7.000 t ergibt dies 21.000 EUR Erlös für drei Jahre. Ein erfolgloser Bieter rügt, dass der maßgebliche Schwellenwert in Höhe von 214.000 EUR überschritten sei – die Leistung habe daher europaweit ausgeschrieben werden müssen.
Die Rüge hat Erfolg! Laut OLG ist die Schätzung der Stadt insgesamt unvertretbar. Zum einen lag keine ordnungsgemäße und vollständige Dokumentation mit Darlegung der der Schätzung zugrunde gelegten Annahmen vor. Zum anderen ist der Vorjahreswert der Handlingkosten keine taugliche Schätzungsgrundlage. Denn der Papierpreis war zuvor derart verfallen, dass die Bieter ihren Gewinn zumindest auch mit den Handlingkosten erwirtschaften müssen. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Schätzung, die eine ernsthafte, realistische, vollständige und objektive Prognose voraussetzen und sich an den Marktgegebenheiten orientieren, sind damit nicht erfüllt worden.
OLG Hamm, Urteil vom 11.11.2021 – 24 U 194/20
Bei unserer RubrikEntscheidung im Detailnehmen wir zwei wichtige Aspekte der Entscheidung unter die Lupe. Zum einen soll für den AG, dem eine unwirksame Abnahmeklausel vorgelegt wird, auch die Vorteile dafür genießen können. Zum anderen bestätigt das OLG die gängige Rechtsprechung darüber, dass Abschlagsforderungen einer selbstständigen Verjährung unterliegen und daher nicht mehr verlangt werden können, wenn Schlussrechnungsreife besteht (BGH, Urteil vom 20.08.2009 – VII ZR 205/07; OLG Stuttgart, Vorbehaltsurteil vom 12.02.2019 – 10 U 152/18).
Der BGH stellte schon mit Urteil vom 05.11.1998 (Az. VII ZR 191–97) klar, dass Abschlagsforderungen einer selbstständigen Verjährung unterliegen. Auch für sie gilt nach § 199 Abs. 1 BGB der Beginn der Verjährung mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem die Fälligkeit eingetreten ist. Es gilt dabei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Nach Auffassung des BGH ist der Auftragnehmer nicht gehindert, verjährte Abschlagsforderungen als Rechnungsposten in die Schlussrechnung einzustellen und damit weiterhin geltend zu machen (BGH, Urteil vom 05.11.1998 – VII ZR 191-97). Der Eintritt der Verjährung der Abschlagsforderung hat damit insoweit keine Konsequenzen, da auch nach Eintritt der Verjährung der Abschlagsforderung der Auftragnehmer seinen vollen Vergütungsanspruch zum Gegenstand der Schlussrechnung machen kann und damit nicht endgültig die Möglichkeit verliert, die ihm zustehende Vergütung durchzusetzen (BGH, Urteil vom 15.04.2004 – VII ZR 471/01).
Bei Eintritt der Verjährung verliert der AN jedoch alle bis dahin aufgelaufenen und zukünftigen Zinsen, da mit der Verjährung der Forderung aus der Abschlagsrechnung auch alle Ansprüche auf die davon abhängenden Nebenleistungen nach § 217 BGB verjähren, wovon auch Zinsen umfasst sind (BGH, Urteil vom 19.12.2006 – XI ZR 113/06). Die Entscheidung des BGH befasste sich zwar mit einer Darlehensrückforderung und den hierauf entfallenden Zinsen – die Grundsätze der Entscheidung und die Ausführungen zu § 217 BGB sind auf Forderungen aus Abschlagsrechnungen und darauf anfallende Verzugszinsen jedoch entsprechend anwendbar.
Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) – ein Generalbauunternehmen – schließen auf der Grundlage der VOB/B und vom AN vorformulierter Vertragsbedingungen einen Hausbauvertrag. Laut § 7 des Vertrags soll die Leistung nach Fertigstellung und vor Einzug oder Nutzung förmlich abgenommen werden. Des Weiteren soll die Bauleistung mit Einzug als abgenommen gelten, wenn keine förmliche Abnahme stattfindet. Der AN stellt nach Ausführung der Arbeiten seine Schlussrechnung. Im Oktober 2014 zieht der AG zieht gezwungenermaßen in das Haus ein und lehnt im weiteren Verlauf die Abnahme aufgrund 21 festgestellter Mängel ab. Der AN macht mit seiner 2018 erhobenen Klage einen Restvergütungsanspruch i. H. v. 52.500 EUR und diesen hilfsweise auch als Abschlag geltend.
Der AG macht demgegenüber die Einrede der Verjährung geltend.
Ohne Erfolg! Das OLG stellte fest, dass Restwerklohnanspruch verjährt ist. Ein Werklohnanspruch wird fällig mit der Abnahme der Leistung und der Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung (§ 16 Abs. 3 VOB/B). Die dreijährige Regelverjährung beginnt am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch fällig wurde. Der Beginn der Verjährung des Werklohnanspruchs ist mit dem Schluss des Jahres 2014 eingetreten. Der AN kann sich nicht darauf berufen, dass der AG weder förmlich noch konkludent abgenommen hat. Dies gilt auch unabhängig davon, dass die vom AN gestellte Abnahmeklausel AGB-rechtlich unwirksam ist, weil sie an den Einzug die ausnahmslose und unmittelbare Fiktion der Abnahme knüpft und damit den rechtsgeschäftlichen Charakter der Abnahme ausblendet. Dem AN ist es als Verwender einer unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf dessen Unwirksamkeit zu berufen (vgl. BGH, Urteil vom 30.06.2016 – VII ZR 188/13). Die Inhaltskontrolle von Formularklauseln dient ausschließlich dem Schutz des Vertragspartners des Verwenders.
Das OLG urteilte, dass der Hilfsantrag des AN, indem er den Restvergütungsanspruch als Abschlag geltend macht, ebenfalls verjährt ist. Abschlagsforderungen unterliegen zwar einer selbstständigen Verjährung. Wird aber eine Schlussrechnung zu einem Zeitpunkt erstellt, in dem die Abschlagsforderung noch nicht verjährt ist, stellt diese zusammen mit dem Anspruch aus der Schlussrechnung eine einheitliche Forderung dar, für die die Verjährungsfrist einheitlich neu zu laufen beginnt (vgl. Koeble, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 11 Rn. 674). Hieraus folgt laut OLG, dass auch ein etwaiger Anspruch auf Abschlagszahlung verjährt ist. Abschläge können dann nicht mehr verlangt werden, wenn Schlussrechnungsreife besteht.
Die Erstellung der Schlussrechnung ist aufwändig und zeitraubend. Für den AN ist daher ratsam, den richtigen Zeitpunkt für die letzte Abschlagsrechnung zu bestimmen, um vor Eintritt der Schlussrechnungsreife jedenfalls den größten Teil der Vergütung durch Abschlagsrechnungen abzudecken.
Klagt der AN noch vor Eintritt der Verjährung der Abschlagsforderung nur die bis dahin aufgelaufenen Zinsen ein, steht den geltend gemachten Zinsen zwar nicht die Einrede der Verjährung entgegen. Zu beachten ist allerdings, dass dies nicht für zukünftige Zinsansprüche gilt, da diese auch dann mit dem Hauptanspruch verjähren, wenn die an sich für sie geltende Verjährungsfrist noch nicht eingetreten ist.
Die in der Praxis zu beachtende Verjährungsfrist für Nachtragsleistungen beginnt mit Stellung der Schlussrechnung zu laufen, und zwar selbst dann, wenn die Nachträge in der Schlussrechnung noch nicht abgerechnet worden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2007 – 21 U 256/06).