Rechtsanwaltskanzlei

Gesetzentwurf zur Regulierung von sog. Massenverfahren

Menschen in Deutschland lesen weniger als früher
27 Minuten am Tag verbringen Menschen ab 10 Jahren hierzulande im Durchschnitt mit dem Lesen von gedruckten oder digitalen Medien. Das sind 5 Minuten weniger als vor 10 Jahren.
Zum Vergleich: Für Fernsehen wurde mit durchschnittlich 2 Stunden und 8 Minuten mehr als viermal so viel Zeit aufgewendet wie für Lesen.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024

I. Aktuelles

Bundestag legt einen Gesetzentwurf zur Regulierung von sog. Massenverfahren vor!

Bei Massenverfahren handelt es sich um eine Mehrzahl von Einzelklagen, die einen identischen oder zumindest sehr ähnlichen Sachverhalt betreffen und damit die gleichen Rechtsfragen zum Gegenstand haben. Hierzu gehören beispielsweise Klagen wegen Flugverspätung,

wegen möglicher Verletzungen des Datenschutzes oder der aus der Vergangenheit jüngst bekannte sog. Diesel-Abgasskandal. Solche Massenverfahren stellen für die deutsche Justiz eine Belastung dar, da die Ansprüche oftmals in getrennten Verfahren und an verschiedenen örtlichen Gerichtsständen verhandelt werden. Nicht unberücksichtigt bleiben darf zudem, dass die jeweiligen Einzelverfahren sowohl die Parteien als auch die Gerichte Zeit und Ressourcen kosten.

Um diesen Massenverfahren schneller, kostengünstiger und effizienter zu begegnen, hat der Bundestag nunmehr die Einführung des Leitentscheidungsverfahrens durch den Bundegerichtshof (BGH) entschieden und beschlossen. Dieses Verfahren soll in Zukunft dazu beitragen, dass Instanzengerichte, die mit ähnlichen Fällen befasst sind, sich bei ihrer Entscheidungsfindung an einer frühzeitig getroffenen Leitentscheidung der höchsten Instanz orientieren können. Dazu kann der BGH ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren – nach Eingang der Revisionserwiderung oder nach Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung – per Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen. Ergeht ein solcher Beschluss, können die unteren Instanzen die bei ihnen anhängigen Parallelverfahren – nach vorheriger Anhörung der Parteien – aussetzen und die Entscheidung und Leitlinien des BGH abwarten. Eine Besonderheit ist, dass der BGH über die im Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen nunmehr entscheiden können soll, selbst wenn die eigentliche Revision zurückgenommen oder das Revisionsverfahren durch einen Vergleich beendet wurde.

Der Gesetzesentwurf erntet vielerlei Kritik, insbesondere wird die zeitlich späte Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren bemängelt, da die Massenverfahren somit weiterhin die Instanzen bis zum BGH durchlaufen müssten.

Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf für die Sitzung am 18. Oktober 2024 auf die Tagesordnung gesetzt.

II. Entscheidung im Überblick

Kostenvorschuss auch nach Minderung!
Kein Ausschluss eines Kostenvorschussanspruchs wegen des Mangels, auf den die Minderung des Vergütungsanspruchs gestützt wird.

BGH, Urteil vom 22.08.2024 – VII ZR 68/22

In einem Werklohnprozess des Auftragnehmers (AN) machten die Auftraggeber (AG) u. a. Schallschutzmängel an ihrem vom AN errichteten Haus geltend. Aufgrund dieser Mängel erklärten sie die Minderung des Vergütungsanspruchs im Wege der Widerklage, da sie der Ansicht waren, die Schallschutzmängel führten zu einer Minderung des Verkehrswertes des Hauses. Das LG Lüneberg wies die Widerklage ab, nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige eine Minderung des Verkehrswerts verneinte. Im Berufungsverfahren betonte das OLG Celle, dass es keine Zweifel an der Beweiswürdigung des LG habe. Daraufhin änderten die AG ihre Widerklage und verlangten nunmehr Vorschuss für die Kosten der Beseitigung der Schallschutzmängel.

Mit Erfolg!

Der Anspruch auf Kostenvorschuss ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil die AG wegen derselben Mängel bereits die Minderung erklärt haben.

Aus dem Gesetz lässt sich ein solcher Ausschluss nicht entnehmen. Mit der Minderung bringt der Besteller zum Ausdruck, das Werk behalten, aber keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen. Die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung oder Minderung schließt gemäß § 281 Abs. 4 BGB lediglich den Anspruch auf Nacherfüllung aus. Hingegen bleibt das Recht auf Selbstvornahme oder der Anspruch auf Kostenvorschuss daneben bestehen. Ein vollumfänglicher Ausgleich des durch den Mangel verletzten Leistungsinteresses ist nur gewährleistet, wenn der Besteller auch nach Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung sich noch für die Beseitigung des Mangels entscheiden und den hierfür erforderlichen Vorschuss verlangen kann. Ähnliche Erwägungen müssen auch für das Verhältnis zwischen Minderung und dem Anspruch auf Kostenvorschuss gelten. Diese Gewährleistungsrechte schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr ergänzen sie sich. Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich auf den Ausschluss der Nacherfüllung und der Rückabwicklung des Vertrages. Hingegen nimmt sie dem Besteller nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung, entweder im Wege des Schadensersatzes oder gemäß § 637 BGB, nachträglich noch in vollem Umfang einzufordern. Der AN hat dagegen kein schützenswertes Interesse, nach erfolgter Minderung nicht mehr auf die Kosten der Mängelbeseitigung in Anspruch genommen zu werden. Der Unternehmer hat in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt, indem er einerseits ein mangelhaftes Werk hergestellt hat und anderseits seiner Pflicht zur Nacherfüllung nicht nachgekommen ist.

III. Entscheidung im Detail
Mitverschulden des Bauherrn im Rahmen der Haftung des bauüberwachenden Architekten im Falle der Übergabe mangelhafter Ausführungspläne

LG Karlsruhe, Urteil vom 08.05.2024 – 6 O 300/17

1. Sachverhalt:
Die Bauherren lassen einen unterkellerten Bungalow umfangreich sanieren. Mit der Planung wird Architekt A, mit der Objektüberwachung Architekt B beauftragt. Mit Architekt B wird als Leistungsziel die Sicherstellung der Umsetzung der Ausführungspläne in ein mangelfreies Gebäude vereinbart. Nach dem Einzug stellen die Bauherren erhebliche Feuchtigkeit in den Kellerwänden fest, die aus einer mangelhaften Abdichtung des Kellers resultiert. Die Bauherren verlangen von dem Architekten B nunmehr die Kosten ersetzt, die durch die Beseitigung der Feuchtigkeit entstanden sind. Dieser verteidigt sich gegen das Begehren damit, dass die ihm übergebenen Pläne mangelhafte Vorabzüge seien. Diese sahen keine Abdichtung des Kellers vor.

2. Entscheidung:
Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Der mit der Bauüberwachung beauftragte Architekt B habe seine Leistung mangelhaft erbracht, weil er die Arbeiten in Kenntnis der mangelhaften Planung fortsetzte. Allerdings gehöre zu der Leistungspflicht der Bauherren auch die Übergabe ordnungsgemäßer Ausführungspläne, da die Bauüberwachung des Architekten B ausdrücklich nach den Ausführungsplanungen des Architekten A erfolgen sollte.
Das Gericht führte dazu wörtlich aus:

„Grundsätzlich haben die Bauherren den bauüberwachenden Architekten ordnungsgemäße Ausführungspläne auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Vertrag als Obliegenheit zur Verfügung zu stellen; diese Ausführungspläne schaffen auch eine maßgebliche Grundlage für die Leistung der Objektüberwacher (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2008 – VII ZR 206/06, BGHZ 179, 55-71). Auf diese [sic!] zur Vorlage zuverlässiger Pläne und Unterlagen hat der Bundesgerichtshof schon früh und seither in ständiger Rechtsprechung hingewiesen (vgl. Urteile vom 02.10.1969 – VII ZR 100/67, […]). Diese Obliegenheit des Bauherrn kann durch die vertragliche Vereinbarung zu einer Leistungspflicht erhoben werden (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2008, a.a.O.). Das ist vorliegend geschehen. Indem die bauüberwachenden Architektenleistungen für den Umbau ausdrücklich „gemäß den Ausführungsplanungen des Architekturbüro ###“ erfolgen muss, ist die Übergabe ordnungsgemäßer Ausführungspläne Leistungspflicht der Kläger gegenüber den Beklagten. Für die bloße Obliegenheit hätte es einer solch ausdrücklichen Erwähnung nicht bedurft; vielmehr hätte die allgemeine Übertragung der Bauüberwachung genügt, wie es seit Ende der 1960er Jahre auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht. Gleichzeitig wird in besonderer Weise deutlich gemacht, dass gerade diese Ausführungspläne maßgebliche Grundlage für die Leistung der Objektüberwacher sein sollen. […] Wegen dieser Vereinbarung der Parteien, haben die bauüberwachenden Architekten, anders als bei einer bloßen Obliegenheit (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2008, a.a.O.), auch einen durchsetzbaren Anspruch auf Vorlage ordnungsgemäßer Ausführungspläne. Es handelt sich weiterhin auch um eine Pflicht der Besteller, deren Verletzung zu einem Schadensersatzanspruch führen könnte.“

Diese Leistungspflicht hätten die Bauherren verletzt, indem sie dem Architekten B mangelhafte Ausführungspläne des A übergeben hätten. Dabei sei ihnen der Planungsfehler des A wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Dies führe dazu, dass der Schadensersatzanspruch gegenüber dem Architekten zwar gegeben sei, allerdings müssten sich die Bauherren ein eigenes Mitverschulden i. H. v. 50 % entgegenhalten lassen, weswegen Architekt B nur zur Hälfte für den Schaden einstehen müsse.

Praxishinweis:

Die Entscheidung des Landgerichts ist im Ergebnis richtig. Der mit der Bauüberwachung betraute Architekt muss eigenverantwortlich prüfen, ob die ihm zur Verfügung gestellten Planunterlagen ordnungsgemäß sind. Ist dies nicht der Fall, muss der Bauüberwacher vom Bauherrn die Vorlage mangelfreier Ausführungspläne einfordern. Andernfalls kann er sich schadenersatzpflichtig gegenüber dem Bauherrn machen. Auch die Begründung, mit der die Mitwirkungshandlung des Bauherrn zur Übergabe ordnungsgemäßer Ausführungsplanung als Leistungspflicht qualifiziert wird, überzeugt. Sofern die Ausführungsplanungen als Grundlage für die Bauüberwachung des Architekten von dem Bauherrn gefordert und zumindest konkludent vertraglich vereinbart wurde, handelt es sich bei der Übergabe der fehlerfreien Ausführungspläne nicht mehr um eine bloße Obliegenheit, sondern um eine Leistungspflicht des Bauherrn mit den entsprechenden Rechtsfolgen. Andernfalls wäre eine gerechte Verteilung der Risiko- bzw. Verantwortungssphäre nicht gewährleistet.

Als überörtliche Kanzlei haben wir un­sere Wur­zeln in Berlin und Erlangen. Ein enga­giertes und qualifi­ziertes Team von Anwälten ist speziali­siert auf alle Fra­gen rund um das Wirt­schafts- und Bau­recht.
Fella Fricke Wagner
Fella Fricke Wagner
Copyright © 2024
Fella Fricke Wagner Partnerschaft
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner