- Anstieg des Aluminiumpreises in den letzten 3 Monaten: 20,1 %
- Anstieg des Kupferpreises in den letzten 3 Monaten: 6,7 %
- Anstieg des Stahlpreises den letzten 3 Monaten: 68 %
- Anstieg des Dieselpreises in den letzten 3 Monaten: 48 %
- Anstieg des Erdgaspreises in den letzten 3 Monaten: 28,7 %
Quelle: finanzen.net
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation gibt nochmals Anlass, im Fokus der FFW-Depesche zu stehen. Zwei Krisen von in jüngerer Zeit ungekanntem Ausmaß folgen direkt aufeinander und überschneiden sich teilweise. Neben den erschütternden menschlichen Tragödien, die insbesondere der Krieg in der Ukraine verursacht, haben die Krisen auch aufgrund ihres zeitlichen Zusammenfallens erhebliche Folgen für die gesamte Wirtschaft. Hiervon bleibt insbesondere die Bauwirtschaft nicht verschont. Die Beschaffungsschwierigkeiten und ungekannt drastisch steigenden Kosten aufgrund von Einschränkungen im Beschaffungsmarkt der Rohstoffe und Energieträger, führen dazu, dass viele laufende Bauprojekte für Auftragnehmer nicht mehr wirtschaftlich ausgeführt werden können. Das rechtliche Instrumentarium, diesen Schwierigkeiten zu begegnen, ist begrenzt.
Als eine der Reaktionsmöglichkeiten wird spätestens seit dem drastischen Anstieg der Beschaffungskosten die Anwendung der Vorschrift in § 313 BGB diskutiert und soll deswegen in dieser Depesche etwas gründlicher beleuchtet werden.
Bei § 313 BGB handelt es sich um eine Norm, die bevorzugt in Krisenzeiten in den Fokus rückt. Sie gewährt einen Vertragsanpassungsanspruch, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, schwerwiegend verändert haben und der Vertrag bei vorheriger Kenntnis der Veränderung so nicht geschlossen worden wäre. Die Vorschrift stellt damit eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass Verträge so zu halten sind, wie sie geschlossen wurden. Eine solche Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten“, war aus Gründen der Rechtssicherheit in der rechtsgeschichtlichen Entwicklung zunächst grundsätzlich durch Gesetzgeber und Rechtsprechung abgelehnt worden. Erst die Hyperinflation in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts führte zu einem Umdenken und mündete in der gesetzlichen Festschreibung eines Anpassungsanspruchs. Der Umstand, dass es sich bei § 313 BGB jedoch um eine Ausnahmenorm handelt, die von einem Grundsatz abweicht, hat dazu geführt, dass die Auslegung der in der Norm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung sehr einschränkend erfolgt und der Anwendungsbereich der Norm begrenzt ist. Was bedeutet dies für die praktische Anwendung?
1. Zunächst muss sich die Geschäftsgrundlage geändert haben. Die Geschäftsgrundlage sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH die „bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut“ (zuletzt BGH, Urt. v. 11.12.2019 Az.: VIII ZR 234/18). Zu dieser Definition hat die Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen gebildet, von denen hier nur die aktuell relevanten vorgestellt werden.
1.1. Eine der Fallgruppen umfasst die Geschäftsgrundlagen, die unmittelbar auf den konkreten Vertragsinhalt bezogen sind und diesem zugrunde liegen. Der Definition des BGH zur Geschäftsgrundlage ist bezüglich dieser Fallgruppe als wesentlicher Aspekt zu entnehmen, dass die jeweils andere Partei bei Vertragsschluss von den Umständen Kenntnis haben muss, die von einer Partei als Grundlage des Vertrages angesehen werden. Dies bedeutet, dass die einseitige Erwartung einer Partei nur dann Geschäftsgrundlage wird, wenn sie der anderen Partei mitgeteilt wurde oder wenn beide diese kennen und stillschweigend als Geschäftsgrundlage angenommen haben. Die einfache Mitteilung einer Kalkulation dürfte dabei beispielsweise nicht ausreichen, da eine Kalkulation für sich betrachtet zu jedem Werk- oder Bauvertrag gehört. Es lässt sich daraus nicht unmittelbar entnehmen, dass etwa Beschaffungskosten aus Sicht einer Partei auch genauso Geschäftsgrundlage werden sollen. Vielmehr muss dem Vertragspartner wohl mitgeteilt werden, dass und welche Komponenten (z.B. bestimmte Marktbeschaffungspreise) als Geschäftsgrundlage angesehen werden. 1.2. Die Vorstellungen der Parteien umfasst jedoch nicht nur die konkrete, vertragliche Vereinbarung, sondern auch eine ggf. vorhandene Vorstellung der Parteien, dass sich die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern (zum Umstand, dass auch diese Rahmenbedingungen zur Geschäftsgrundlage gehören, vgl. BGH Urt. v. 04.07.1996, Az.: I ZR 101/94). Dies gilt zumindest dann, wenn nicht eine der Vertragsparteien verpflichtet ist, das Risiko einer Änderung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen zu tragen.
1.3. Zu den oft nicht ausdrücklich vereinbarten Geschäftsgrundlagen gehört auch, dass beide Parteien bei gegenseitigen Verträgen i.d.R von einer Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung (sog. Äquivalenz) ausgehen. Nach der Rechtsprechung des BGH gehört auch diese Annahme zur Geschäftsgrundlage (BGH Urt. v. 23.05.2014, Az.: V ZR 208/12 und Urt. v. 15.04.2016, Az.: VZR 42/15).
Die Frage, ob die Erwartung einer Partei Geschäftsgrundlage geworden ist, ist im Ergebnis eine Wertungsfrage, die unter Berücksichtigung der den Parteien vertraglich zugewiesenen Risiken zu beantworten ist. Für die Baupraxis ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass das Beschaffungsrisiko vertraglich grundsätzlich bei dem Auftragnehmer liegt. Der Auftragnehmer hat deswegen hier eine eher hohe Hürde zu nehmen.
2. Um einen Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB geltend machen zu können, müssen sich die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage gemacht wurden, schwerwiegend geändert haben. Eine einfache Veränderung der Umstände ist daher nicht ausreichend. Wann eine schwerwiegende Veränderung der Umstände vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Allerdings kann als Faustregel gelten, dass eine schwerwiegende Änderung vorliegt, wenn eine Partei von einem Vertragsschluss in der konkreten Form Abstand genommen hätte, wenn sie die nachträglich eingetretenen Änderungen der Umstände zuvor gekannt hätte.
2.1. In der aktuellen Situation kommt für viele Bau- und Werkverträge in Betracht, dass sich die Umstände bezüglich der Annahmen einer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stabilität, die stillschweigend zur Geschäftsgrundlage gemacht wurden, grundlegend verändert haben (vgl. oben Ziffer 1.2). Bei Verträgen, die vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geschlossen wurden, kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Vertragsparteien bei Abschluss der Verträge gemeinsam stillschweigend von einem zwar ggf. durch die Covid-19-Pandemie geprägten Marktumfeld ausgegangen sind, jedoch einvernehmlich keine so gravierenden, kriegsbedingten Änderungen des Marktumfeldes erwartet haben. Für Verträge, die vor Kriegsausbruch geschlossen wurden, kommt deswegen aufgrund der dramatischen Marktverwerfungen, die auf die aktuelle politische Instabilität zurückzuführen sind, ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht. Bei nach Kriegsausbruch geschlossenen Verträgen ist dies im Zweifel nicht der Fall. Für diese Verträge kommt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wohl nur in Betracht, wenn die Beschaffungsumstände und -kosten durch eine konkrete Vereinbarung als Geschäftsgrundlage vereinbart wurden bzw. werden (vgl. oben Ziffer 1.1).
Die aktuellen Steigerungen der Beschaffungskosten für das Baugewerbe können auch einen Fall der sog. Äquivalenzstörung darstellen. Dies knüpft an die Grundüberlegung an, dass beide Parteien bei gegenseitigen Verträgen von einer Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ausgehen und dies ggf. stillschweigend zur Geschäftsgrundlage machen (vgl. oben Ziffer 1.3). Im Falle einer schwerwiegenden Störung dieser Äquivalenz durch unvorhersehbare Ereignisse, kann dies zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Folge eines Vertragsanpassungsanspruchs führen, wenn die benachteiligte Partei nicht das Risiko der Störung zu tragen hat. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass eine Äquivalenzstörung vorliegt, wenn die benachteiligte Partei nicht nur ihren Gewinn verliert, sondern sogar Verluste erleidet (BGH Urt. v. 23.01.2003, Az.: VII ZR 210/01). Diese Grenze ist im Ergebnis unbefriedigend. Tatsächlich dürfte hier gut vertretbar sein, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage bereits vorliegt, wenn sich der Gewinnanteil einer Partei unangemessen verringert, da anderenfalls schon dann die wirtschaftliche Existenz der benachteiligten Partei in Gefahr gerät: Ein Unternehmen ist ohne Gewinne je nach Gesellschaftsform faktisch vom Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten. Der Vertragsanpassungsanspruch, den der Gesetzgeber in § 313 BGB festgeschrieben hat, würde ins Leere gehen, wenn er im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht zumindest den wirtschaftlichen Fortbestand der Partei gewährleistet, die sich auf diesen Anspruch berufen kann.
3. Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle festzuhalten, dass ein Vertragsanpassungsanspruch ausscheidet, wenn sich das einer Partei vertraglich oder gesetzlich zugewiesene Risiko realisiert. Im Baubereich dürfte dies am häufigsten bei Pauschalpreisverträgen der Fall sein. Diese indizieren regelmäßig, dass der Auftragnehmer das (praktisch unbegrenzte) Risiko des Anstiegs von Beschaffungskosten zu tragen hat, da er seine Leistungen „pauschal“ angeboten hat.
4. Für den Anpassungsanspruch gemäß § 313 BGB muss zudem ein Festhalten am Vertrag für die betroffene Partei unzumutbar sein. Dies ist nur der Fall, „wenn und soweit das Festhalten an den Bestimmungen des Vertrages wegen der veränderten Situation zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Dies bedarf stets einer sorgfältigen Prüfung und setzt voraus, dass ein weiteres Festhalten an dem Vereinbarten für die eine Partei schlechthin unzumutbar ist und dass der anderen Partei ein Abgehen von dem Vereinbarten zugemutet werden kann“ (ständige Rechtsprechung des BGH, Urt. v. 13.05.1993, Az.: IX ZR 166/92). Es kommt hier bei der Beurteilung auch darauf an, ob das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erheblich erschüttert worden ist. Wie der BGH in seinem Urteil vom 16.02.2022, Az.: XII ZR 17/21 entschieden hat, sind bei der Abwägung, ob die aufgetretenen Störungen unter Berücksichtigung der Art des Vertrages und der Umstände des Einzelfalls zu einer Unzumutbarkeit führen, auch etwaige finanzielle Vorteile aufgrund der Umstandsänderung zu berücksichtigen (z.B. Ausgleichszahlungen aufgrund der Covid-19-Pandemie, vgl. FFW-Depesche 05/2022).
Grundsätzlich ist bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit eine Gesamtbetrachtung des Vertragsverhältnisses zugrunde zu legen. Verändern sich nur einzelne Teilaspekte des Vertragsverhältnisses, so muss die Veränderung so stark ausgeprägt sein, dass es zu einem unzumutbaren Ungleichgewicht des gesamten Vertragsverhältnisses kommt. Dies kann insbesondere misslich sein, wenn das Vertragsverhältnis eines Auftragnehmers zwar gegenüber seinem Auftraggeber keine unzumutbare Veränderung erfährt, wohl aber – jeweils separat betrachtet – die Vertragsverhältnisse zu seinen Nachunternehmern oder Lieferanten. Sofern hier die Nachunternehmer und Lieferanten einen Vertragsanpassungsanspruch gemäß § 313 BGB gegenüber einem Auftragnehmer haben, wird dies wohl zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse in der Gesamtbetrachtung des Vertragsverhältnisses zwischen (Haupt-)Auftragnehmer und (Haupt-)Auftraggeber bei der Abwägung zu berücksichtigen sein.
Ein Vertragsanpassungsanspruch gemäß § 313 BGB kann aufgrund der besonderen Situation zweier sich überschneidender Krisen durchaus bestehen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, erfordert jedoch eine sorgfältige Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Marktveränderungen und der Auswirkungen dieser Marktveränderungen auf das konkrete Bauvorhaben. Ansprüche gemäß § 313 BGB sollten deswegen in der aktuellen Situation nicht nachdem „Gießkannenprinzip“ geltend gemacht werden.
Den Auftragnehmern ist dazu zu raten, ihre Auftraggeber fundiert und am Maßstab der Anforderungen des § 313 BGB orientiert über die Auswirkungen der Marktverwerfungen auf das Bauprojekt zu informieren. Dies ist die Basis, um einen späteren Vertragsanpassungsanspruch geltend zu machen.
Auftraggebern ist wohl zu raten, sich nicht per se der Situation und einem Vertragsanpassungsansinnen ihrer Auftragnehmer zu verschließen. Mit einer einvernehmlichen Einigung, die sich an Rechtslage und Rechtsprechung orientiert und die wechselseitigen Interessen berücksichtigt, ist im Zweifel mehr gewonnen, als mit einem zeit- und kostenintensiven Rechtsstreit über einen Vertragsanpassungsanspruch.